Pussy – das Wort zurückerobern

Warum musst du gerade dieses Wort benutzen? Falls ihr ein ungutes Gefühl bekommt, wenn das Wort auftaucht, wundert es mich nicht. Ihr seid wahrscheinlich in der Mehrheit. Für die jungen unter uns, die in einer patriachalischen Kultur groß wurden, sind Pussys beängstigend. Sie werden gleichermaßen begehrt und entweiht. Sie sind mächtig, unübersichtlich, mysteriös und unbekannt. Wir werden gewarnt, dass die Männer unsere Pussy wollen, als passenden Körperteil für ihren Penis. Gleichzeitig bringt man uns bei, dass sie eigentlich ekelhaft sind. Sie bluten; sie pressen Babys heraus; sie haben auf launenhafte und unvorhersehbare Art Orgasmen. Man erzählt uns, dass sie seltsam riechen und verkauft uns unzählige Produkte, um ihren lästigen Geruch loszuwerden. Sie gelten oft als hässlich, und um sie überhaupt vorzeigbar zu machen, müssen sie zurechtgemacht werden. Wir Frauen schrecken vor ihr zurück und unsere Männer verstehen sie nicht.

Eine Pussy zu haben ist in einer solchen Kultur noch deutlich schlimmer, als eine genannt zu werden. Wenn also jemand einfach so mal das P-Wort verwendet, führt das zu einem historisch bedingten Widerhall, der weit stärker ist als das Wort selbst. Keine Frage, das Wort Pussy hat schwer zu tragen. Es führt viel Ballast mit sich. Und doch ist es für mich das einzige Wort.

Denn es geht darum, Entweihtes zurückzuerobern. Angefangen mit Pussy.

Es gibt keine einzige Frau, deren Pussy nicht in der einen oder anderen Weise schon entehrt oder nieder gemacht worden wäre.

Herabwürdigung, Geschlechterdiskriminierung, Vergewaltigung, Belästigung, Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, Einkommensungleichheit. Viele Frauen haben ihren Müttern, Großmüttern, Tanten und Freundinnen dabei zugesehen, wie sie scheinbar alternativlos die Tradition der Unterwerfung pflegten. Vielen Frauen hat man seit Kindertagen vermittelt, dass sie Objekte sind, die für das Vergnügen der Männer da sind.

Pussy wird selten benutzt, um unser Frausein zu feiern und zu stärken.

Eine Pussy werden wir genannt, wenn es darum geht, uns zu beleidigen oder zu verspotten. Und die Beleidigung kann auch durchaus von einer von uns kommen, denn wir Frauen haben es längst selbst internalisiert, dass in unserer Kultur Pussy vor allem als Schimpfwort gebraucht wird.

Warum also wähle ich dieses Wort, das so viel Ballast und Konflikte mit sich bringt, wenn ich von der Heldin unserer Geschichte spreche? Es gibt ja viel nettere und sanftere Wörter. Wir könnten zum Beispiel Vagina sagen – außer dass das physiologisch unvollständig ist. Vagina bedeutet ursprünglich Scheide, also das Ding, in das man ein Schwert steckt. Das Wort bezeichnet nur den muskulären Schlauch der von den äußeren Geschlechtsorganen zum Muttermund reicht. Es lässt also die äußeren Geschlechtsorgane aus – die äußeren und inneren Schamlippen, die Scheidenöffnung und die Klitoris. Eine Pussy Vagina zu nennen, ist ungefähr so, als würde man einen Penis als Skrotum bezeichnen. Das Wort bezeichnet nur einen Ausschnitt, ist also als solches falsch und irreführend. Außerdem, so mein Eindruck, haben Frauen, die das Wort Vagina verwenden, häufig kein gutes Verhältnis zu dem Teil von sich, den sie damit bezeichnen. Vagina benutzen wir, wenn wir förmlich sein wollen. Wie wenn man eine Frau eine Dame nennt. Es ist kein benutzerfreundliches Wort; es hat keine Intimität.

Wie sollen wir sie also nennen? Viele Frauen benutzen in letzter Zeit das Wort Yoni. Yoni ist ein hinduistisches Wort, dessen Wurzel Sanskrit ist. Ich bin aber nicht Hindu.

Es gäbe noch Vulva. Eigentlich ein ganz gutes Wort, weil es tatsächlich genau die äußeren Genitalien bezeichnet. Aber ihr fehlt irgendwie der Schwung. Vulva. Klingt für mich ein bisschen wie Volvo, ein sicheres, aber nicht besonders schönes Auto.

Wenn eine Frau hingegen Pussy sagt, passiert etwas ganz Wunderbares.

Aus irgendeinem Grund wird man durch das laute Aussprechen des Wortes Teil einer Gemeinschaft von Verschwörerinnen, die ein wunderbares Wissen teilen; es ist wie ein geheimer Handschlag. Wir Frauen verstehen das intuitiv, wenn wir eine Verbindung herstellen zu diesem Wort, das so lange nur obszön und pornografisch gebraucht wurde. Wenn wir es aussprechen, dann ist der starke Widerhall auf unserer Seite, nicht gegen uns. Der Ballast verwandelt sich in unsere stolze Geschichte. Und wir bekommen sofort das Gefühl, dass wir uns das Wort so zurückerobern, was der erste Schritt zur tatsächlichen Rückeroberung der Pussy ist.

-Ausschnitt aus dem Buch „Pussy: Hol dir deine weibliche Kraft zurück“ von Regina Thomashauer

Letzten Sommer ist mir dieses Buch in die Hände gefallen. Und dieser Buchausschnitt bringt die Sache auf den Punkt – viel besser, als ich es je in Worte hätte fassen können…